Mir nach! Die Charisma-Sackgasse
Ein bemerkenswerter Artikel in der ZEIT von Elisabeth Niejahr titelte 2011: „Lieber ohne Aura“ und stellte die Frage, ob Politiker mit Charisma überholt seien und nicht die Zeit der uneitlen und sachorientierten „Maschinisten“ angebrochen sei. Weil Politiker im höheren Sinne immer auch Führungskräfte und Manager sind, lässt sich diese Frage auch für die Führung im Unternehmen stellen. Erstmals unterschied der amerikanische Politologe und Historiker James MacGregor Burns zwischen transaktionalen und transformierenden Politikern. Seiner Analyse zufolge, orientieren sich transaktionale Politiker eher an der Wahrung des Status quo, während transformationale Politiker Veränderungen bewirken. George M. Brass hat diese Unterscheidung aufgenommen und zu seiner Theorie der Transformationalen Führung ausgebaut.
Charisma im Wandel
Die transformationale Führungskraft bewegt Menschen dazu, sich intrinsisch motiviert auf höhere Ziele auszurichten, statt nur den persönlichen Vorteil zu verfolgen. Solche Führungskräfte vermitteln nicht nur erstrebenswerte Visionen, sondern treten auch als Wegweiser und Vorbild auf. Charisma gilt heute als eine Art Abkürzung auf dem Weg zur wirkungsvollen Führungskraft. Die Kunst der Rede, der Gestik und Mimik und der Körperhaltung soll den steinigen Weg zum Mitarbeitervertrauen zwar nicht ersetzen, aber doch ein bisschen flotter und leichter machen.
Dabei hat sich die Vorstellung vom Charakter des Charismas gewandelt: weg von einer (erotischen) Ausstrahlung hin zu einem überzeugenden Standing. Negativbeispiele bestätigen, dass der „charismatische Manager“ mit Hang zum Narzissmus, der alle begeistert, aber auch alles eisern im Griff hat, ein Fall für die Mottenkiste ist. Während jedoch in der christlichen Tradition Charisma noch eine Gnadengabe Gottes war, preisen Workshops heute vielerlei Möglichkeiten an, zu einer strahlkräftigen Persönlichkeit zu werden. Realistisch aber ist Charisma vermutlich weder ein Himmelsgeschenk noch ein Skill-Set, das man einfach so einkaufen kann. Es lässt sich nicht erlernen, aber durch tätige Erfahrung sowie emotionale und rationale Reflexion erwerben und entwickeln.
Andere Dinge zählen mehr
Natürlich gibt es auch positive Beispiele für Ausstrahlung und charismatische Überzeugungskraft. Jim Collins jedoch weist mit seinen Forschungsarbeiten nach, dass es keinen Zusammenhang zwischen einem charismatischen Führungsstil und besonderen Unternehmenserfolgen gibt. Nach Collins zeigen besonders erfolgreiche Führungskräfte eine Mischung aus Entschlossenheit und Bescheidenheit, die den Unternehmensführer vom lediglich kompetenten und effektiven Manager abhebt. Level 5 – Führungsqualitäten nennt Collins diese auf den Erfolg des Unternehmens ausgerichteten Verhaltensweisen:
Berufliche Entschlossenheit:
- Sorgt für Spitzenresultate, übernimmt wichtige Katalysatorfunktion
- Konsequente Entschlossenheit, tut was getan werden muss
- Setzt Maßstäbe für Spitzenleistungen, gibt sich nicht mit weniger zufrieden
- Blickt bei schlechten Ergebnissen in den Spiegel, nicht aus dem Fenster
Persönliche Bescheidenheit:
- Unauffällige Erscheinung, scheut öffentliches Lob, ohne jede Prahlerei
- Handelt ruhig, aber bestimmt. Motiviert nicht durch Charisma, sondern durch hervorragende Standards
- Ehrgeiz für das Unternehmen, nicht für sein Ego. Wählt Nachfolger aus.
- Blickt bei guten Ergebnissen aus dem Fenster, nicht in den Spiegel.
Insgesamt überraschen diese Ergebnisse nicht, denn schon Max Weber erkannte vor über 100 Jahren, „dass Institutionen, die Bestand haben, ihren Erfolg nicht dem Charisma eines Anführers verdanken, sondern dem Umstand, dass sie die Kunst der Führung im gesamten System kultivieren“.
Wirkung durch Werte und Handlungen
Betrachtet man die hohen Wertanteile einer Führungskraft mit Leuchtturmfunktion, ist es sehr fraglich, ob Trainings der Außenwirkung die besondere Aura erzeugen können, die Charismatikern nachgesagt wird. Sicher ist es richtig, dass die sozialen Interaktionen das Verhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter bestimmen und dass Sprache, Mimik, Gestik des Chefs wirken. Viel entscheidender als das Auftreten aber sind die Handlungen. Die Autoren Kouzes und Posner haben konkreten Handlungen von Führungskräften danach bewertet, wie Führung bei Mitarbeitern ankommt und welches Verhalten erfolgversprechend ist. Ihre Ergebnisse ergänzen die rein kommunikativen Qualitäten und werde in fünf Prinzipien zusammengefasst:
Als Vorbild vorangehen
- Finde deinen Standpunkt, indem du deine Werte klärst.
- Richte dein Handeln an den gemeinsamen Werten aus und sei darin ein Vorbild.
Eine gemeinsame Vision schaffen
- Entwirf ein Bild von der Zukunft mit spannenden und inspirierenden Möglichkeiten.
- Gewinne andere für eine gemeinsame Vision, indem Du mit Ihnen über gemeinsame Hoffnungen und Erwartungen sprichst.
Den Prozess vorantreiben
- Suche nach Chancen und Möglichkeiten für Entwicklung und Wachstum.
- Experimentiere, gehe Risiken ein, erziele viele kleine Siege und lerne aus Fehlern.
Andere zum Handeln befähigen
- Fördere Zusammenarbeit durch kooperative Ziele und den Aufbau von Vertrauen.
- Stärke andere durch Teilhabe an Macht und erweiterte Handlungsspielräume.
Die Mitarbeiter ermutigen
- Zeige ausdrückliche Anerkennung für herausragende, individuelle Leistungen.
- Fördere den Gemeinschaftsgeist, feiere gemeinsame Werte und Siege.
Charisma – ein entschiedenes Jein
Die Frage, ob Charisma-Workshops immer unsinnig sind, kann man bestenfalls mit einem entschiedenen Jein beantworten. Das Charisma-Etikett verspricht eine cäsarenhafte Aura, die man nicht einfach so lernen kann. Da man nach Watzlawick jedoch nicht nicht kommunizieren kann und falsche nonverbale Signale auch den wahrhaftigsten Menschen in Frage stellen, sind Entwicklungsmaßnahmen im Bereich der persönlichen Außenwirkung durchaus nützlich.
Diese ergänzen das innere Standing, das man durch Werteorientierung und eine professionelle und menschliche Vorbildhaftigkeit bereits hat. Wer aber glaubt, den mitunter steinigen Weg zu echter Integrität abkürzen zu können, wird enttäuscht. Mitarbeiter spüren heute sehr schnell, dass hinter großen Gesten oft viel leerer Raum existiert. Einmal verspieltes Vertrauen gewinnt man nur schwer zurück.
Schlagwörter: Aura, Charisma, Führung, Vorbild, Wirkung