Inklusion im Unternehmen. Engagement, das sich rechnet
Autor: Michael Kruse
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Führung, Personalentwicklung, Persönlichkeitsentwicklung
Im Jahr 2008 ist das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-Behindertenrechtskonvention) in Kraft getreten. Dort wird das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen in einem offenen, einbeziehenden und zugänglichen Arbeitsmarkt so beschrieben:
„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.“
Für Deutschland ist diese Forderung mit dem unmittelbaren und uneingeschränkten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit sogenannter geistigen Behinderung und Leistungsgeminderte gleichzusetzen. Ist das eine realistische Vorstellung oder nur eine politisch korrekte im Rahmen der Inklusionsdebatte? Und: Was haben Unternehmen davon, wenn sie Menschen mit Leistungseinschränkungen in ihren Betrieb integrieren? Können die „Normalos“ von den „Behinderten“ etwas lernen, das für die Organisation nützlich ist, sich vielleicht sogar rechnet?
Erfahrungen aus einer anderen Welt nutzen
Drehen wir es einmal um: Es gibt Führungskräfte, die für eine bestimmte Zeit aktiv in einer sozialen Institution arbeiten und dabei die Herausforderung und die Vielfalt sozialer Arbeit kennenlernen. Sie bringen diese Erfahrung in ihren persönlichen Alltag zurück, erweitern ihre Sozialkompetenz und ihr gesellschaftliches Bewusstsein. Der Blick auf eine andere Seite des Lebens ermöglicht einen Brückenschlag zwischen Bereichen, die in unserer Gesellschaft immer wieder in Zielkonflikten stehen. Hier ökonomischer Erfolg und professionelle Performance, dort Menschlichkeit, Sensibilität für die Bedürfnisse von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jenseits der Funktionalität.
Warum sich eine neue Erfahrungswelt nicht einfach ins eigene Unternehmen holen? Ist es denkbar, gezielt Arbeitsplätze so zu gestalten, dass Menschen mit Einschränkungen in ihren Leistungsmöglichkeiten trotzdem einen vollwertigen Arbeitsplatz in ihrem Unternehmen schaffen? Institutionen wie Ministerien, Landschaftsverbände, Institute oder Universitäten beschäftigten sich mit ganzheitlichen Ansätzen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Unternehmen sind häufig skeptisch und/oder haben wenig Erfahrung mit gelungener Integration behinderter Menschen.
Neue Erfahrungen möglich machen …
Dabei gibt es offensichtliche Vorteile, wenn der Sprung gewagt wird. Unternehmen brauchen kompetente Führungskräfte, die bereit sind, sich in unsichere Felder zu begeben, die mehr als nur eine Facette in ihrem Leben kennen und die die Balance zwischen Menschsein und ökonomischem Erfolg halten können. Der Blick über den Tellerrand und Tätigkeiten auf ungewohntem Terrain erweitern die sozialen Kompetenzen und die Kultur des Miteinanders im Unternehmen. Führungskräfte, die in der Lage sind, zu differenzieren, unterschiedliche Bedürfnisse zu verstehen und konstruktive Lösungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu organisieren, liefern wertvolle Beiträge zum (auch) wirtschaftlichen Erfolg der Organisation. Mitarbeiter, die sich durch ihre Führungskraft auch in ihren Anliegen verstanden und erkannt fühlen, sind leistungsfähiger und dem Unternehmen tiefer verbunden.
… und weitergeben
Schön, wenn einzelne Führungskräfte neue Erfahrungen machen und davon persönlich profitieren. Für die Entwicklung der Unternehmenskultur braucht es aber die „Normalisierung“. Die gemachten Erfahrungen müssen im Unternehmen als gewünschte Entwicklung bekannt werden. Inklusion ohne angemessene Kommunikation funktioniert nicht, sie bleibt in der Ecke des gut gemeinten Sonderprojekts. Es braucht den Austausch im direkten Mitarbeiterkreis des Mitarbeiters, im Führungskreis und in den internen Netzwerken (Intranet).
Es geht nicht um Toleranz, sondern um gleichberechtigte Teilhabe. Das hat der gute alte Goethe uns schon mitgegeben: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“